In scheinbar unüberbrückbare Gräben blickten die Zuhörer der Podiumsdiskussion, die das Treffen einläutete. Die Hildesheimer Sprachwissenschaftlerin Ursula Bredel und Gisela Holtz, Mitbegründerin des „Netzwerks Leichte Sprache“, beharkten sich gegenseitig – sachlich, aber mit Nachdruck. Sie stritten über Bindestrich und Mediopunkt und darüber, mit welchem Zeichen sich zusammengesetzte Wörter leichter lesen lassen. Während Holtz aufgrund ihrer praktischen Erfahrungen den Bindestrich verteidigte, führte Bredel ins Feld, dass er zu falschen Schreibweisen führe und Wörter missverständlich würden, Beispiel Früh-Stück. Eine bessere Alternative sei der Mediopunkt und außerdem mühelos zu verstehen, beharrte Bredel. Ihre Ansicht untermauerte eine Studie der Johannes- Gutenberg-Universität Mainz, deren Ergebnisse Silke Gutermuth in Mannheim vorstellte. Die Wissenschaftler hatten untersucht, wie unterschiedliche Probanden-Gruppen verschieden schwierige Texte lesen können. Bei den Leichte-Sprache-Texten setzten sie den Mediopunkt ein. Fazit: Egal ob Menschen mit Lernbehinderung, mit Migrationshintergrund, ob Senioren oder Studenten: Alle konnten zusammengesetzte Wörter, deren Bestandteile durch den Mediopunkt getrennt wurden, schneller lesen. Netzwerk-Vertreterin Holtz regte an, diese Untersuchung nochmals mit Bindestrich-Texten vorzunehmen. Ebenfalls strittig: Dürfen Verstehensprüfungen, die nur Einzelne vornehmen, verallgemeinert werden? Gemeint sind Textprüfungen durch ausgewählte Vertreter der Zielgruppe. Wer seine Leichte-Sprache-Texte mit dem weit verbreiteten Siegel von Inclusion Europe kennzeichnen will, muss sie von Zielgruppen-Vertretern, sprich Menschen mit Lernbehinderung, lesen und prüfen lassen. Das bestimmen die Regeln von Inclusion Europe, denen sich auch das „Netzwerk Leichte Sprache“ angeschlossen hat. Ursula Bredel meldete Zweifel an der Auswahl der Textprüfer an: „Erwischen wir die richtigen Leute?“ Würden nicht vielmehr solche ausgewählt, die ohnehin besser lesen könnten als andere?, fragte sie. Nein, widersprach Gisela Holtz. Wie gut oder schlecht jemand lesen und verstehen könne, sei nicht das Kriterium. Nicht zuletzt schilderten Praktiker ihre Arbeit. Mitreißend und beeindruckend tat dies vor allem Brigitte Vogel-Janotta. Sie ist Leiterin des Bereichs Bildung und Vermittlung am Deutschen Historischen Museum in Berlin. Das Leichte-Sprache-Angebot gehört zu ihren Aufgaben. Ganz offen sprach Vogel-Janotta über die – nicht immer positiven – Erfahrungen des Museums mit dem leichten Deutsch. Sie berichtete über die wertvolle Zusammenarbeit mit Menschen mit Lernbehinderung, von heftigen öffentlichen Reaktionen auf das Leichte-Sprache-Angebot des Museums und darüber, wie schwierig es ist, komplexe Inhalte einfach darzustellen. Vogel-Janotta haderte auch mit den Regeln. Zum Beispiel sei das Präteritum für das Museum unverzichtbar, erklärte sie. Leichte-Sprache- Regeln lassen diese Zeitform aber bis auf wenige Ausnahmen nicht zu. Müssen die Regeln wirklich so streng sein? Reicht nicht vielleicht ein Rahmen, der ganz leichte wie einfache Sprache umfasst?, stellte Sprachwissenschaftlerin Bettina M. Bock in den Raum. Aber wie wird dann die Qualität gesichert?, fragte ihre Kollegin Ursula Bredel zurück. Bredel selbst warf viele weitere Fragen auf, unter anderem: Ist Leichte Sprache als Durchgangsstufe geeignet zum Deutschlernen – oder begnügen sich Sprachlerner mit dem leichten Deutsch und bleiben darin verhaftet? Was kann Leichte Sprache bei der Alphabetisierung leisten? Menschen mit Lernbehinderung, mit Demenz oder Schlaganfall-Patienten, deren Sprachzentrum betroffen ist: Erreicht Leichte Sprache alle diese verschiedenen Gruppen gleichermaßen oder müssen die Texte stärker auf die jeweiligen Beeinträchtigungen zugeschnitten werden? Das Treffen hat viele Anstöße geliefert und Knackpunkte offenbart. Eines hat aber alle vereint, auch wenn sie teilweise verschiedener Meinung waren: Wissenschaftler und Praktiker setzen sich leidenschaftlich dafür ein, Leichte Sprache voranzubringen. Schön wäre es, wenn sie stärker an einem Strang ziehen würden. yvw  Institut für Deutsche Sprache (IDS) Mannheim  Gesellschaft für deutsche Sprache  Deutscher Sprachrat  Forschungsstelle für Leichte Sprache an der Universität Hildesheim  Netzwerk Leichte Sprache  Inclusion Europe   Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Pressemitteilung „Leichte Sprache auf dem Prüfstand“
21. Oktober 2017 Wenige Antworten, viele offene Fragen und einige Reibungspunkte  Wissenschaftler und Praktiker geben sich Stelldichein am Institut für Deutsche Sprache Mannheim Wer mit Antworten nach Hause gehen wollte, wurde enttäuscht. Das Institut für Deutsche Sprache (IDS) Mannheim, die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) und der Deutsche Sprachrat wollten der Leichten Sprache nachspüren, Hintergründe und den aktuellen Forschungsstand aufzeigen. Deshalb hatten sie am 19. und 20. Oktober Praktiker und Sprachwissenschaftler zum Thema „Leichte Sprache – Verständliche Sprache“ nach Mannheim gebeten. Fazit der Veranstaltung: Es gibt eine ganze Reihe von Unsicherheiten und etliche Unstimmigkeiten, denn zwischen Praktikern und Wissenschaftlern knirscht es an manchen Stellen (immer noch) gewaltig.
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Sie stritten über Bindestrich und Mediopunkt und darüber, mit welchem Zeichen sich zusammengesetzte Wörter leichter lesen lassen. Während Holtz aufgrund ihrer praktischen Erfahrungen den Bindestrich verteidigte, führte Bredel ins Feld, dass er zu falschen Schreibweisen führe und Wörter missverständlich würden, Beispiel Früh-Stück. Eine bessere Alternative sei der Mediopunkt und außerdem mühelos zu verstehen, beharrte Bredel. Ihre Ansicht untermauerte eine Studie der Johannes-Gutenberg- Universität Mainz, deren Ergebnisse Silke Gutermuth in Mannheim vorstellte. Die Wissenschaftler hatten untersucht, wie unterschiedliche Probanden-Gruppen verschieden schwierige Texte lesen können. Bei den Leichte-Sprache-Texten setzten sie den Mediopunkt ein. Fazit: Egal ob Menschen mit Lernbehinderung, mit Migrationshintergrund, ob Senioren oder Studenten: Alle konnten zusammengesetzte Wörter, deren Bestandteile durch den Mediopunkt getrennt wurden, schneller lesen. Netzwerk-Vertreterin Holtz regte an, diese Untersuchung nochmals mit Bindestrich-Texten vorzunehmen. Ebenfalls strittig: Dürfen Verstehensprüfungen, die nur Einzelne vornehmen, verallgemeinert werden? Gemeint sind Textprüfungen durch ausgewählte Vertreter der Zielgruppe. Wer seine Leichte- Sprache-Texte mit dem weit verbreiteten Siegel von Inclusion Europe kennzeichnen will, muss sie von Zielgruppen-Vertretern, sprich Menschen mit Lernbehinderung, lesen und prüfen lassen. Das bestimmen die Regeln von Inclusion Europe, denen sich auch das „Netzwerk Leichte Sprache“ angeschlossen hat. Ursula Bredel meldete Zweifel an der Auswahl der Textprüfer an: „Erwischen wir die richtigen Leute?“ Würden nicht vielmehr solche ausgewählt, die ohnehin besser lesen könnten als andere?, fragte sie. Nein, widersprach Gisela Holtz. Wie gut oder schlecht jemand lesen und verstehen könne, sei nicht das Kriterium. Nicht zuletzt schilderten Praktiker ihre Arbeit. Mitreißend und beeindruckend tat dies vor allem Brigitte Vogel- Janotta. Sie ist Leiterin des Bereichs Bildung und Vermittlung am Deutschen Historischen Museum in Berlin. Das Leichte-Sprache-Angebot gehört zu ihren Aufgaben. Ganz offen sprach Vogel-Janotta über die – nicht immer positiven – Erfahrungen des Museums mit dem leichten Deutsch. Sie berichtete über die wertvolle Zusammenarbeit mit Menschen mit Lernbehinderung, von heftigen öffentlichen Reaktionen auf das Leichte-Sprache-Angebot des Museums und darüber, wie schwierig es ist, komplexe Inhalte einfach darzustellen. Vogel-Janotta haderte auch mit den Regeln. Zum Beispiel sei das Präteritum für das Museum unverzichtbar, erklärte sie. Leichte- Sprache-Regeln lassen diese Zeitform aber bis auf wenige Ausnahmen nicht zu. Müssen die Regeln wirklich so streng sein? Reicht nicht vielleicht ein Rahmen, der ganz leichte wie einfache Sprache umfasst?, stellte Sprachwissenschaftlerin Bettina M. Bock in den Raum. Aber wie wird dann die Qualität gesichert?, fragte ihre Kollegin Ursula Bredel zurück. Bredel selbst warf viele weitere Fragen auf, unter anderem: Ist Leichte Sprache als Durchgangsstufe geeignet zum Deutschlernen – oder begnügen sich Sprachlerner mit dem leichten Deutsch und bleiben darin verhaftet? Was kann Leichte Sprache bei der Alphabetisierung leisten? Menschen mit Lernbehinderung, mit Demenz oder Schlaganfall-Patienten, deren Sprachzentrum betroffen ist: Erreicht Leichte Sprache alle diese verschiedenen Gruppen gleichermaßen oder müssen die Texte stärker auf die jeweiligen Beeinträchtigungen zugeschnitten werden? Das Treffen hat viele Anstöße geliefert und Knackpunkte offenbart. Eines hat aber alle vereint, auch wenn sie teilweise verschiedener Meinung waren: Wissenschaftler und Praktiker setzen sich leidenschaftlich dafür ein, Leichte Sprache voranzubringen. Schön wäre es, wenn sie stärker an einem Strang ziehen würden. yvw  Institut für Deutsche Sprache (IDS) Mannheim  Gesellschaft für deutsche Sprache  Deutscher Sprachrat  Forschungsstelle für Leichte Sprache an der Universität Hildesheim  Netzwerk Leichte Sprache  Inclusion Europe   Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Pressemitteilung „Leichte Sprache auf dem Prüfstand“
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